O‘ Du Fröhliche
Weihnachtsgeschichten sind am schönsten, wenn sie vorgelesen werden. Der neue Band von Renate Welsh und Julie Völk scheint dafür geradezu prädestiniert. Der Weihnachtsbuch-Tipp von Andrea Kromoser.
An Weihnachten besucht Julian mit Mama das Grab seiner Urgrosseltern, jenes Grab, in dem jetzt auch seine Oma liegt. Ein anderes Kind meint es heuer besonders gut mit dem kleinen Jesulein aus der Krippe und badet die Wachsfigur im Waschbecken. Während in den anderen Geschichten der Nikolaus mitsamt furchterregenden Krampus vor der Tür steht, am Weihnachtsabend ein kleines Kalb geboren wird, oder das Mädchen Fritzi unterm Christbaum Trompete anstatt Blockflöte spielt. – Renate Welsh erzählt von Familientraditionen und von Ereignissen, wie sie nur zur Weihnachtszeit passieren können.
Sozialkritik trifft Weihnachtsfrieden
Dabei fällt auf, dass jeden der zwölf Texte unterschiedliche sozial- sowie gesellschaftskritische Aspekte durchziehen. In Ellis Schule klopft es beispielswiese genau in jenem Moment an die Türe, als die Klasse das alte Lied von der „Herbergssuche“ probt:
Der Herr Direktor kommt herein, gefolgt von zwei Polizisten. Er geht direkt auf Emine zu. Die Lehrerin legt beide Hände auf Emines Schultern. „Frau Kollegin, ich bitte Sie!“, sagt der Direktor, und das klingt nicht wie eine Bitte.
Erst später in der Geschichte wird vom Abschiebungsbescheid erzählt, von der Verzweiflung Ellis und den Erklärungsversuchen sowie der Ohnmacht ihrer Lehrerin.
Der Protagonist des Textes „Maroni für das Eichhörnchen“ ist ein so genannter Schneeschaufler, der am Weihnachtsabend während seiner Pause frierend auf der dunklen, verschneiten Strasse steht und die beleuchteten Fenster derer beobachtet, die gerade die Kerzen an ihren Bäumen entzünden. Später wird ihm ein Junge herzlich „Frohe Weihnachten!“ wünschen und ihm ein kleines Stück Wärme schenken. In Renate Welshs Geschichten sind es immer wieder die Kinder, die buchstäblich das Eis brechen, Erwachsenen entgegengehen und mit ihren direkten Fragen Ehrlichkeit forcieren.
O‘ Du Fröhliche Geschichtenzeit
Auch wenn die Texte der avancierten österreichischen Autorin nicht durchgängig ganz am Puls der Zeit klingen, so machen das Julie Völks zarte Illustrationen wett. Indem sie einzelne Szenen hervorhebt, ermöglicht sie neue Blickwinkel auf die Geschichten und macht das Buch – auch aufgrund des wundervollen Covers – zu einem stimmigen Gesamtwerk.
In „O‘ Du Fröhliche“ wird oft musiziert, viel gesungen, alt-vertraute Weihnachtslieder klingen durch die Seiten. Das sogar in der einzigen Geschichte, die nicht in der Winterzeit spielt, sondern an einem richtig heissen Sommertag. Tobias war es, der zu singen anfing: „Ihr Kinderlein kommet …“ Alle sangen mit, kichernd, und schon schien es, als sei es paar Grad kühler.
Andrea Kromoser
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TitelO‘ Du Fröhliche
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Autor:inRenate Welsh
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GenreFiction
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VerlagObelisk Verlag
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Erscheinungsdatum2016
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Illustrator:inJulie Völk
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Bewertung